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Begriffe und Theorien der Hochschuldidaktik

Auf dieser Seite stellen wir Ihnen einige Begriffe und Theorien vor, die häufig in der Hochschuldidaktik verwendet werden. Zu jedem Begriff stellen wir kurz dar, wie wir ihn verstehen und verwenden, und geben Hinweise zu vertiefenden Hintergrundmaterialien.

Constructive Alignment

Beim Constructive Alignment geht es um eine möglichst gute Passung von Lernzielen, Prüfungsformen und Lehrmethodik. Die Grundidee, diese Elemente möglichst sinnvoll aufeinander abzustimmen, gab es z. B. unter dem Stichwort »Instructional Alignment« schon vorher, Biggs (1996) kombinierte diese Idee dann mit den Prinzipien des Konstruktivismus.

Biggs und Tang (2011) zufolge besteht Constructive Alignment aus folgenden Elementen:

  • Handlungsorientierte Lernziele (»Intended learning outcomes«, »ILOs«) formulieren: Die Lernziele sind so zu formulieren, dass sie ein Verb (Lernaktivität), ein Objekt (Lerninhalt) sowie einen Kontext und einen zu erreichenden Standard enthalten. (Beispiel: »Im Rahmen von Übungen eine fiktive Situation differenziert zu analysieren.«)
  • Eine dazu passende Lernumgebung schaffen: Es sollen Lehr- und Lernaktivitäten (»Teaching/learning activities«, »TLAs«) ausgewählt und angewendet werden, die das jeweilige Verb adressieren und mittels derer die beabsichtigten Lernziele erreicht werden können. Ausgehend von der Grundidee des Konstruktivismus, dass Lernen ein individueller und auf Vorkenntnisse aufbauender Aneignungs- und Konstruktionsprozess ist, sollten solche Methoden zum Einsatz kommen, die genau diese Prozesse unterstützen, die also insbesondere auf Aktivitäten der Studierenden basieren. (Beispiel: Übungen, in denen die Studierenden mit fiktiven Situation konfrontiert werden und unter Anleitung sowie unter Zuhilfenahme differenzierter Bewertungskriterien lernen, diese Situationen zu analysieren.)
  • Prüfungsaufgaben (»Assessment tasks«, »ATs«) entwickeln: Diese Aufgaben sollen ebenfalls das jeweilige Verb und es der Lehrperson ermöglichen, zu beurteilen, ob und in welchem Ausmaß die Studierenden die Lernziele erreicht haben. (Beispiel: Mündliche Prüfung, in der die Studierenden mit bislang unbekannten fiktiven Situationen konfrontiert werden und diese ohne Zuhilfenahme von Quellen oder Hilfsmitteln analysieren sollen.)
  • Notenschema: Diese Leistungsbeurteilungen müssen in ein Benotungsschema überführt werden.

Bei der (Re-)Akkreditierung von Studiengängen wird seitens der Akkreditierungsagenturen auf eine handlungs-/kompetenzorientierte Formulierung von Lernzielen sowie auf dazu passende Prüfungsformen und Lehrmethoden geachtet. Die für die Lehrqualität entscheidenden Details in der Durchführung der Lehr-Lernmethoden (z. B. Auswahl von Übungsaufgaben) und der Prüfung (z. B. Auswahl von Prüfungsfragen) im Sinne des Constructive Alignments obliegen dann der Verantwortung der jeweiligen Lehrenden.

Literatur:

Biggs, J. B. (1996). Enhancing Teaching through Constructive Alignment. Higher Education 32, 1–18.

Biggs, J. B. & Tang, C. (2011). Teaching for Quality Learning at University. What the Student Does (4th Ed.). Berkshire, England: Open University Press.

 

 

Dual Coding Theory

Die Dual Coding Theory von Paivio (1986) geht davon aus, dass es verschiedene kognitive Verarbeitungskapazitäten für analog codierte (bildliche) Informationen einerseits und für symbolisch codierte (verbale) Informationen andererseits gibt. Ein und dasselbe Konzept kann dabei sowohl bildlich als auch sprachlich codiert sein, und diese beiden mentalen Repräsentationen sind miteinander assoziiert. Bezogen auf Lernprozesse folgt daraus beispielsweise, dass auch sprachliche Informationen besser gelernt werden, wenn sie mit einer passenden Visualisierung ergänzt werden.

Literatur:

Paivio, A (1986). Mental representations: a dual coding approach. Oxford. England: Oxford University Press.

 

 

Kompetenzorientierung

Um Studierende auf eine anspruchsvolle und dynamische Arbeitswelt vorzubereiten und ihnen eine verantwortungsvolle gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, reicht es nicht aus, lediglich Fachwissen bei ihnen anzureichern. Vielmehr müssen die Bildungsangebote umfassender gestaltet sein und die gesamte Kompetenz in den Blick nehmen. Kompetenzen beinhalten zwar Fachwissen, gehen aber weit darüber hinaus und umfassen auch Komponenten wie (insbesondere kognitive, metakognitive, emotionale und soziale) Fertigkeiten, Fähigkeiten, Motivationen, Bereitschaften, Einstellungen und Werte, die dazu eingesetzt werden, um bestimmte Probleme zu lösen oder zumindest zu bearbeiten (z. B. Weinert, 2014).

Gerade für den universitären Bildungsbereich kommen spezifische Aspekte hinzu wie Reflexivität (bzgl. des eigenen Handelns und der eigenen Kompetenzen), Erkenntnisbasierung (systematisches, methodenkritisches, theorie- und erkenntnisgeleitetes Vorgehen), disziplinäre Organisation (Orientierung an Perspektiven und Paradigmen bestimmter Fachdiziplinen), Neuartigkeit und Komplexität (Studierende sollen darauf vorbereitet werden, mit neuartigen und komplexen Situationen adäquat umzugehen) und Tätigkeitsfeldbezug (keine Vorbereitung auf einen konkreten Beruf, sondern Sicherstellung einer flexiblen Beschäftigungsfähigkeit in einem weiteren Tätigkeitsfeld) (Schaper, 2012).

Kompetenzen sind dabei als Konstrukte zu verstehen, die sich nicht direkt beobachten oder messen lassen. Sie lassen sich aber an beobachtbarem Verhalten ablesen. Vereinfacht ausgedrückt: Man muss etwas nicht nur wissen, sondern auch können und wollen, und man muss es auch in die Tat umsetzen können.

Kompetenzorientierte Lehre geht im Vergleich zu einer ausschließlichen Fachwissensvermittlung mit einem anderen Rollenverständnis in Lehr-Lernbeziehungen einher. Lehrende sind nicht die Hüterinnen und Hüter vermeintlich geheimen Fachwissens, das sie mit den Studierenden teilen. Vielmehr besteht ihre Aufgabe darin, geeignete Lehr- und Lernarrangements zu gestalten, in denen die Studierenden ihre Kompetenzen weiterentwickeln, und geeignete Prüfungsformate zu finden, die es den Studierenden erlauben, den Erwerb dieser Kompetenzen nachzuweisen. Ausgangspunkt für diese Gestaltungsaufgabe ist idealerweise eine ebenfalls bereits kompetenzorientierte Formulierung von Lernzielen in den Modulbeschreibungen, die insbesondere nicht beschreiben, welche Inhalte behandelt werden, sondern was die Studierenden nach Absolvieren des jeweiligen Moduls können sollen.

Die Freiheit, aber auch die Verantwortung einer Lehrperson, den Ausschnitt des Fachwissens zu definieren, in dessen Rahmen oder auf dessen Basis diese Kompetenzentwicklung stattfinden soll, bleibt von diesem Perspektivwechsel unberührt.

Literatur:

Schaper, N. (2012). Fachgutachten zur Kompetenzorientierung in Studium und Lehre. Bonn: HRK.
https://www.hrk-nexus.de/fileadmin/redaktion/hrk-nexus/07-Downloads/07-02-Publikationen/fachgutachten_kompetenzorientierung.pdf (letzter Aufruf: 22.4.2020)

Weinert, F. (2014). Vergleichende Leistungsmessung in Schulen – eine umstrittene Selbstverständlichkeit. In F. Weinert (Hrsg.), Leistungsmessungen in Schulen (3. Aufl.). Weinheim, Basel: Beltz.

 

 

Peer Instruction

Diese didaktische Methodik geht auf den US-Physiker Eric Mazur zurück. Dessen Beobachtung war, dass Studierende in der Einführungsvorlesung zwar lernen, Formeln richtig anzuwenden, aber nicht die dahinter liegenden Konzepte und Zusammenhänge. Wenn die Klausur aber auch nur die Fähigkeit abprüft, Formeln anzuwenden, und wenn die Vorlesung im Wesentlichen aus Lehrvorträgen besteht, bemerkt man das nicht und kann fehlerhafte Vorstellungen der Studierenden nicht korrigieren.

Mazur entwickelte daraufhin folgendes Vorgehen:

  • Vor einem Vorlesungstermin bereiten die Studierenden sich unter Verwendung bereitgestellter Lehrmaterialien eigenverantwortlich auf das jeweilige Thema vor.
  • Außerdem beantworten sie im Vorfeld online einige Fragen zum Thema, so dass die Lehrperson, abhängig von den Ergebnissen, in der Vorlesung ggf. noch einzelne Aspekte hervorheben, intensiver behandeln kann usw.
  • Zu Beginn des Vorlesungstermins dann wird das Thema noch einmal in Form einer »Mini-Vorlesung« zusammenfassend dargestellt, ggf. unter Verwendung von Experimenten oder Demonstrationen.
  • Den Kern der Methode bilden sogenannte ConcepTests, also Multiple-Choice-Fragen, mit denen das konzeptuelle Verständnis zu Schlüsselbegriffen geprüft wird (die man also auch nicht durch das Anwenden von Formeln beantworten kann). Nach einer kurzen Zeit zum Nachdenken beantworten die Studierenden jede Frage zunächst individuell, z. B. mittels digitaler Abstimmungssysteme (Audience-Response-Systeme, »Clicker«), so dass das Abstimmungsergebnis für alle sichtbar wird. Anschließend sollen die Studierenden ihren Sitznachbarn von der Richtigkeit der eigenen Antwort überzeugen. Nach dieser Diskussionsphase geben die Studierenden erneut ihre, ggf. revidierte, Antwort bekannt. Je nachdem, wie viele Studierende hier die richtige Antwort abgegeben haben, wird das Konzept entweder noch einmal etwas ausführlicher erläutert oder nur noch einmal kurz zusammengefasst oder gar nicht mehr weiter besprochen.
  • Das Anwenden und Rechnen von Formeln wird vollständig in begleitende Tutorien ausgelagert.

Die Hauptvorteile von Peer Instruction bestehen darin, dass es in interaktiver Form unter den Studierenden zu einer Auseinandersetzung mit den Konzepten des jeweiligen Faches kommt und die Lehrperson dadurch auch Einblicke in die Lernprozesse der Studierenden erhält.

Literatur:

Mazur, E. (2014). Peer Instruction: A User's Manual. Essex: Pearson.

Mazur, E. (2017). Peer Instruction: Interaktive Lehre praktisch umgesetzt. Berlin: Springer Spektrum.

Impressionen aus Eric Mazurs Vorlesung:

https://youtu.be/wont2v_LZ1E

 

 

Shift from Teaching to Learning

Mit dem »Shift from Teaching to Learning«, also der »Verschiebung vom Lehren hin zum Lernen« ist gemeint, dass sich die Aktivitäten von Hochschulen und Lehrenden nicht auf das »Bereitstellen von Lehre«, sondern auf das »Produzieren von Lernen« richten sollten. Es sollen nicht die Mittel (Lehrveranstaltungen) festgelegt werden, sondern die Zwecke (Lernergebnisse), so dass die Mittel entsprechend passend gewählt und angepasst werden können.

Die Formulierung »Shift from Teaching to Learning« geht auf Barr und Tagg (1995) zurück. Diese vergleichen das Instruktionsparadigma (Teaching) mit dem Lernparadigma (Learning) anhand verschiedener Aspekte:

InstruktionsparadgimaLernparadigma
Auftrag und ZweckInstruktionen liefern; Wissenstransfer; LehrangebotLernen produzieren; Entdecken und Wissenskonstruktion fördern; Lernumgebungen schaffen
ErfolgskriterienMenge und Qualität von Ressourcen; Qualität der InstruktionMenge und Qualität von Ergebnissen; Qualität des Lernens
Lehr-Lern-Strukturenatomistisch (Teile wichtiger als das Ganze; konstante Zeit, variables Lernen; unabhängige Disziplinen und Abteilungen; Material »durchnehmen«)holistisch (das Ganze wichtiger als die Teile; konstantes Lernen, variable Zeit; interdisziplinäre Zusammenarbeit; definierte Lernergebnisse)
LerntheorieWissen existiert »da draußen«; Lernen kumulativ und linear; Lagerhaus-MetapherWissen wird individuell konstruiert; Lernen als Verschachtelung und Interaktion von Wissensstrukturen; Fahrradfahr-Metapher
Produktivität/FinanzierungProduktivität = Kosten pro Instruktionsstunde pro Student; Finanzierung nach InstruktionsstundenProduktivität = Kosten pro Lerneinheit pro Student; Finanzierung nach Lernergebnissen
RollenverständnisLehrende als Vortragende; Lehrende klassifizieren Studierende; Jeder Fachexperte kann lehrenLehrende als Gestalter von Lernmethoden und -umgebungen; Lehrende fördern Kompetenzen eines jeden Studenten; Beförderung von Lernen ist herausfordernd und komplex

Die Autoren betrachten den »Shift from Teaching to Learning« also vorrangig auf einer organisatorischen Ebene und aus der Perspektive von Fakultäten und Hochschulen (Barr ist »director of institutional research and planning«). Sie zeichnen praktisch das ideale Bild, das sich am Ende eines strukturellen Prozesses ergeben sollte, der bereits begonnen hat.

Literatur:

Barr, R. B. & Tagg, J. (1995). From Teaching to Learning–A New Paradigm for Undergraduate Education. Change: The Magazine of Higher Learning 27(6), 13–26.